Beatrice Schumann: Der Zusammenschluss war ein Schritt, der von den Naturfreunden International angestossen wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Sozialismus nicht mehr einheitlich – es gab eine sozialdemokratische und eine kommunistische Richtung, was zu Spannungen führte. Zudem war die Bewegung, die seit 1895 besteht, sehr gross geworden. Europa war nach dem Krieg nicht mehr dasselbe: Nationalisierungen setzten ein. Der zuvor wichtige Internationalismus musste zurückstecken und sich dieser politischen Realität anpassen. Das entsprach zwar nicht dem Ideal der frühen Sozialisten, führte aber zu diesem Zusammenschluss auf nationaler Ebene.
Beatrice Schumann: Die Naturfreunde gehörten zu den Kulturorganisationen. Das war immer das dritte Standbein neben Partei und Gewerkschaft. Partei- und Gewerkschaftsgenossen hatten oft wenig Verständnis für die Anliegen der Naturfreunde, die da einfach so in der Gegend herumgelaufen sind. Doch die frühen Naturfreunde verfolgten ein Bildungsideal. Es ging darum, einen neuen Menschen heranzubilden, der die Basis für eine veränderte Welt bilden sollte.
Beatrice Schumann: In der damaligen Donaumonarchie Österreich-Ungarn gab es riesige Ländereien im Privatbesitz, durch die man nicht einfach wandern durfte. Die Forderung, Zugang zur Natur zu haben, manifestierte sich in diesem Gruss «Berg frei».
Beatrice Schumann: In der Schweiz waren die Besitzverhältnisse zwar etwas anders, aber auch hier gab es viel privaten Grund. Zudem war der Schweizer Alpen-Club, den es bis heute gibt, eine bürgerliche, reine Männervereinigung. Die Hütten und die Bergwelt waren für Leute aus der Arbeiterschicht nicht wirklich zugänglich – nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch wegen der sozialen Schranken.
Beatrice Schumann: Der Sitz der Naturfreunde International wurde von Wien nach Zürich verlegt. Die Schweizer Naturfreunde galten als weniger politisiert. Damit wurde die Schweiz zum Zentrum der Bewegung, weil es hier noch möglich war, die Organisation weiterzuführen.
Beatrice Schumann: Eine Tendenz dazu gab es, aber einfach «Ja» kann man nicht sagen. Zunächst war die politische Herausforderung entscheidend: In den frühen 1950er-Jahren schlossen die Naturfreunde die kommunistischen Mitglieder aus. Damit beruhigten sich die Konflikte, die während und nach dem Krieg die Bewegung erschüttert hatten. Danach kam der kollektive Wohlstand; die goldenen Fünfziger- und Sechzigerjahre. Das Naturfreundehaus als Symbol und Aushängeschild verlor an Bedeutung, weil man nicht mehr zwingend auf günstige Ferien vor Ort angewiesen war.
Beatrice Schumann: Obwohl «Natur» im Namen steht, waren die Naturfreunde nicht per se ökologisch. Erst in den 1980er-Jahren kam der Aufbruch: Man wollte verkrustete Strukturen aufbrechen und Überalterung überwinden. Es war die Idee, an die damals aufkommende Umweltpolitik anzuknüpfen, von der Welle der neuen Grünen zu profitieren und die Organisation zu modernisieren.
Beatrice Schumann: Die Naturfreunde sind weiterhin ein nationaler Verband mit zahlreichen Sektionen. In den letzten Jahren haben sie es geschafft, sich wieder auf ihre früheren Werte zu besinnen: Gemeinschaft, gesellschaftliches Engagement und Nachhaltigkeit im eigenen Verhalten. Es geht um Sorge für die Natur, in der man sich bewegt. Lange Zeit – etwa um die Jahrtausendwende – war der Verband in einer Orientierungskrise. Heute steht er vor grossen Herausforderungen: Das Durchschnittsalter liegt über 50, vielleicht sogar über 60. Es könnte also sein, dass die Naturfreunde zu einem Verein engagierter Seniorinnen und Senioren für Umwelt werden. Und das wäre ja auch nicht das Schlechteste.
Beatrice Schumann ist Historikerin und hat zu den Naturfreunden in der Schweiz geforscht. Ihr Buch Engagiert unterwegs ist beim Hier und Jetzt Verlag erschienen.