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3. November 2025
Nothilfe: Das Berner Verwaltungsgericht fällte zwei Grundsatzurteile
Phil Wenger / Verwaltungsgericht Kanton Bern
Foto: Phil Wenger / Verwaltungsgericht Kanton Bern Das Berner Verwaltungsgericht befasste sich letzte Woche mit zwei Bschwerden von abgewiesenen Asylsuchenden.

Zehn Franken pro Tag. Diesen Betrag erhalten Menschen mit einem abgewiesenen Asylgesuch im Kanton Bern. Es handelt sich dabei um die sogenannte Nothilfe. Diese ist als Recht in der Bundesverfassung verankert. Jeder Mensch hat das Recht auf Hilfe in einer Notlage.

Der Kanton Bern hat in den Vergangenen Jahren seine Praxis bei der Nothilfe verschärft. In einer Weisung hält die Sicherheitsdirektion fest, dass der Anspruch auf Nothilfe an eine Anwesenheitspflicht gebunden ist. Nur wer sich im Rückkehrzentrum aufhält und dort übernachtet erhält die Nothilfe ausbezahlt. Wer nach einer schriftlichen Verwarnung innerhalb von 3 Monaten die Anwesenheitspflicht 3 Mal verletzt, wird von der Nothilfe ausgeschlossen.

«Seit diese Pflicht 2019 eingeführt wurde, hat sich noch nie ein Gericht damit befasst», sagt Rechtsanwalt David Krummen. Er vertrat letzte Woche einen Beschwerdeführer im ersten Gerichtsfall, bei dem es um diese Anwesenheitspflicht ging. Weil sein Klient über längere Zeit nicht im Rückkehrzentrum Gampelen übernachtet hatte, wurde er von der Nothilfe ausgeschlossen. Für David Krummen ist dies kein Grund, jemanden von der Nothilfe auszuschliessen. Der Staat dürfe zwar festlegen, unter welchen Bedingungen die Nothilfeleistungen erbracht werden. «Aber aus diesen Bedingungen dürfen keine sogenannt sachfremden Auflagen hervorgehen», erklärt Krummen.

«Es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass Nothilfebeziehende bei einer externen Übernachtungsmöglichkeit Nahrungsmittel und weitere Unterstützung erhalten.»
David Krummen Anwalt

Die Anwesenheitspflicht sei als solche sachfremden Auflagen anzusehen, argumentiert der Anwalt, denn sie stehe in keinem inhaltlichen Zusammenhang zur Bedürftigkeit von Nothilfebeziehenden. Darüber sei sich die Rechtslehre einig, betont Krummen. Darauf habe auch ein Richter aus dem fünfköpfigen Gremium verwiesen.

Die anderen Richter*innen beurteilten dies jedoch anders. Wer extern übernachtet, benötigt keine Nothilfe, argumentierten sie. Für Krummen geht diese Argumentation an der Lebensrealität der abgewiesenen Asylsuchenden vorbei: «Sie leben in prekären Verhältnissen, und wenn sie eine Übernachtungsmöglichkeit finden, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sie dort Nahrungsmittel und weitere Unterstützung erhalten.»

An der Argumentationslinie des Gerichts stört den Rechtsanwalt noch etwas Anderes: Sie geht nicht auf die Frage ein, ob die Aufenthaltspflicht verfassungsmässig ist. Dabei lag auf diesem Fall die Hoffnung, dass der Urteilsspruch diese Frage klären könnte. Um das zu verstehen, bedarf es eines Blicks in zurück. Im Jahr 2019 reichten die Demokratischen Jurist:innen Bern und das Migrant Solidarity Network beim Bundesgericht eine Beschwerde ein gegen die Aufenthaltspflicht. Das bundesgericht trat aber nicht darauf ein. Die Frage nach der Verfassungsmässigkeit könne ein Gericht im Rahmen einer Einzelfallbeschwerde beurteilen.

«Wer gegen die Anwesenheitspflicht verstösst, wird automatisch aus der Nothilfe ausgeschlossen»
David Krummen Anwalt

Eine solche Einzelfallbeschwerde lag dem Berner Verwaltungsgericht letzte Woche vor. Es ging jedoch davon aus, dass die Verfassungsmässigkeit der Aufenthaltspflicht gar nicht zu prüfen sei. Das Gericht ging nämlich davon aus, dass beim Ausschluss aus der Nothilfe kein Automatismus besteht. David Krummen hingegen sieht einen solchen Automatismus in der Nothilfeweisung festgeschrieben. «Dieser Automatismus wird in der Praxis auch angewandt: Wer gegen die Anwesenheitspflicht verstösst, wird automatisch aus der Nothilfe ausgeschlossen, wie der Fall des Beschwerdeführers zeigt.»

Recht erhielten Krummen und sein Klient im Fall der zweiten Beschwerde. Hier ging es um einen Iraner, dessen Gesuch auf Privatunterbringung nicht bewilligt wurde. Weil er sich weigerte, auf die iranische Botschaft zu gehen, um sich einen Pass zu beschaffen, habe er seine Mitwirkungspflicht verletzt, befanden die Behörden.

Bei der privaten Unterbringung handelt es sich um eine Möglichkeit, die das Berner Kantonsparlament eingeführt hat. Diese Möglichkeit von der Mitwirkung abhängig zu machen, widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, argumentierte das Gericht. Die Regelung bezwecke, dass die Lebensbedingungen von Nothilfebeziehenden, deren Wegweisungsvollzug nicht absehbar ist, verbessert werden soll. Mit dem Grundsatzentscheid des Verwaltungsgerichts muss der Kanton diese Praxis in Zukunft ändern: Die Mitwirkung darf keine Bedingung für die private Unterbringung sein.

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