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8. September 2025
«Wir dokumentieren die Wahrheit.»
Der Fotograf Anas Fteiha dokumentiert den Genozid mit seiner Kamera. (Foto: @anas.fteiha)

Hossam Shabat, Fatma Hossuna, Ana al-Sharif, Moaz Abu Taha, Mariam Abu Daqqa – die Liste der getöteten Medienschaffenden in Gaza ist lang. In den vergangenen 22 Monaten wurden laut Reporter ohne Grenzen mehr als 220 palästinensische Journalist*innen durch israelische Streitkräfte getötet.

Vor genau einer Woche haben sich über 250 Medienhäuser über die Kampagnenplattform Avaaz gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (RSF) zusammengeschlossen. Sie fordern: Schutz für palästinensische Journalist*innen in Gaza – und ein Ende der Straffreiheit für israelische Verbrechen gegen Reporter*innen.

Journalismus unter Beschuss

Trotz Krieg, vor dem Hintergrund eines laufenden Genozids, arbeiten palästinensische Medienschaffende wie Hamza Hammad und Anas Fteiha weiter. Ein Foto zeigt Hamza Hammad bei der Arbeit: In Jeans und T-Shirt, vor der Kamera, in der Hand ein Mikrofon. Die blaue Presseweste kennzeichnet ihn deutlich als Journalist. Er hat mir das Bild kürzlich selbst geschickt.

Hamza Hammad arbeitet in Gaza als Fernsehkorrespondent für den ägyptischen Sender al-Ghad. Aktuell berichtet er über die Vertreibung der Palästinenser*innen aus Gaza-Stadt und die israelische Offensive. Ich stehe seit über einem Jahr in Kontakt mit ihm. Er wirkt hager, die Narben seiner Verletzungen sind noch immer sichtbar.

Im Dezember 2023 überlebte er in nördlichen Jabalia einen israelischen Raketenangriff – das Haus, in dem er sich befand, existiert nicht mehr. Heute leben viele Journalist*innen in Zelten. Der Zugang zum Internet ist stark eingeschränkt, die Stromversorgung funktioniert nur mithilfe von Solarenergie.

Hammad lebt und arbeitet getrennt von seiner Familie – auch, um sie vor möglichen Angriffen zu schützen. «Journalist*innen sind ständig Drohungen durch Israel ausgesetzt», berichtet er. Das Ziel sei, sie zum Schweigen zu bringen – und damit die Wahrheit über Aushungerung, Tötungen und systematische Zerstörung zu verschleiern.

«Die Welt muss verstehen, dass jedes dokumentierte Wort und jedes Bild eine wahre Geschichte erzählt»
Anas Fteiha Fotograf für Anadolu Ajansı

Tödliche Systematik, falsche Narrative

Laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) handelt es sich bei den Tötungen um das tödlichste und gezielteste Vorgehen gegen Medienschaffende weltweit. Die gezielte Tötung von Journalistinnen sei Teil der israelischen Kriegsführung geworden, so eine Investigativ-Recherche des Onlinemagazins +972 vom August. Ziel sei es, internationale Kritik im Keim zu ersticken. Getötete Journalistinnen werden von Israel oft als Hamas-Funktionäre oder «Terroristen» diffamiert – eine Strategie, um die Tötungen zu rechtfertigen.

So auch im Fall von Anas al-Sharif. Reporter ohne Grenzen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Diffamierungstaktik scharf. Dennoch übernahmen auch deutschsprachige Medien unkritisch das Narrativ der israelischen Regierung – ein gefährliches Signal für Medienschaffende in Gaza.

Ein Beispiel ist der Fotograf Anas Fteiha. Er dokumentiert das Leid der Menschen in Gaza: Familien, die um Angehörige trauern, Menschen in Trümmern, Hungernde in langen Schlangen. Eines seiner Bilder machte ihn zur Zielscheibe.

Deutsche Medienunternehmen veröffentlichten seine Fotos – und behaupteten später, er sei ein Schauspieler, ein Lügner. Diese Darstellung habe seine Ängste verstärkt, erzählt Fteiha. Heute fühlt er sich bei seiner Arbeit nicht mehr sicher und sorgt sich um seine Familie.

Was war passiert? Anfang August zeigte die Süddeutsche Zeitung (SZ) ein Foto von Fteiha, auf dem er hungernde Zivilist*innen mit leeren Blechtöpfen fotografiert. Die Überschrift: «Wie echt sind die Bilder aus Gaza?» Das Bild diente zur Illustration eines Artikels über mögliche Inszenierungen von Leid in Kriegsgebieten. Fteiha wurde darin nicht namentlich genannt. Doch nur zwei Tage später griff die Bild-Zeitung die Geschichte auf. Sie zeigte das Foto erneut, nannte seinen Namen und titelte: «Dieser Gaza-Fotograf inszeniert Hamas-Propaganda.»

«Wir halten die Wahrheit fest – das Leiden der Palästinenser*innen, die den Horror von Israels Krieg erleben.»
Hamza Hammad Korrespondent für al-Ghad

Fteiha ist überzeugt: Die Medienhäuser tragen Mitverantwortung dafür, dass er sich heute in Gefahr befindet – auch wenn es nicht ihre Absicht gewesen sei. Die Art und Weise, wie über seine Arbeit berichtet wurde, habe ihn zur Zielscheibe von Drohungen und Belästigungen gemacht – insbesondere durch israelische Stellen. Die israelische Botschaft beschuldigte ihn auf der Plattform X der Produktion von «Fake News» und «Hamas-Propaganda». Dabei bezog sie sich ausdrücklich auf die Berichte der Süddeutschen Zeitung und der Bild-Zeitung. Auch zahlreiche israelische Medien griffen diese Darstellung auf. Sogar Israels Präsident Isaac Herzog zeigte bei einer Konferenz in Estland das Bild von Fteiha öffentlich.

Eine ausführliche Recherche des Spiegel widerlegte die Vorwürfe gegen Anas Fteiha – doch der Schaden ist bereits angerichtet. Für den jungen Fotografen ist die Situation belastend. Dennoch macht er weiter. Er versucht, seine Sicherheit zu gewährleisten, schützt seine Quellen und dokumentiert die Ereignisse so genau wie möglich – ohne sich zu gefährden. «Die Welt muss verstehen, dass jedes dokumentierte Wort und jedes Bild eine wahre Geschichte erzählt», sagt er. Es gehe nicht um Sensation, sondern um Wahrheit und Menschlichkeit.

Auch Hamza Hammad denkt nicht daran, seine Arbeit aufzugeben – obwohl er noch immer an seinen Verbrennungen leidet und keine vollständige medizinische Versorgung erhält. Gaza zu verlassen, komme für ihn nicht infrage. Er sagt: «Wir halten die Wahrheit fest – das Leiden der Palästinenser*innen, die den Horror von Israels Krieg erleben.»

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