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10. Dezember 2025
Kerzen, Wut und Kälte: Der Protest, der die Politik zum Umdenken brachte
David Fürst
Foto: David Fürst Eine Million für Frauenhäuser und das Nottelefon: Was in der zuständigen Kommission noch eine Mehrheit hatte, lehnte der Nationalrat gestern ab.

Es sind mehrere Hundert, wenn nicht gar Tausende Menschen, die an diesem eisigen Dezemberabend ihre Wut, Verzweiflung und Trauer auf den Bundesplatz tragen. Die meisten sind warm eingepackt in wollige Wintermäntel, in ihren Händen flackern Kerzen. Viele haben Tränen in den Augen, andere schreien ihre Wut dem Bundeshaus entgegen. Hinter einigen Scheiben brennt noch Licht.

Keine zwanzig Stunden ist es her, seit der Nationalrat eine Million Franken für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt nicht gesprochen hat. Mit dem Geld hätten Massnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention finanziert werden sollen – ein Übereinkommen zum Schutz von Frauen und Mädchen. Die feministische Bewegung lässt dies nicht auf sich sitzen. Innert weniger Stunden organisiert das Berner Streikkollektiv eine Kundgebung, eine Petition gegen den Entscheid wird lanciert: Mehrere Hunderttausend Personen haben sie bereits unterzeichnet.

Auf dem Platz stehen viele Frauen, Kinder, queere Menschen, und auffallend wenige Männer. Am Rand raucht eine sichtlich genervte Jacqueline Badran. Das Geld wäre dringend nötig gewesen, sagt die SP-Nationalrätin.

«Das Geld bräuchte es, um Frauenhäuser und das Nottelefon aufzustocken. Parallel wollte man eine Kampagne gegen Feminizide, gegen Gewalt an Frauen, lancieren. Die Kampagne nützt ja nichts, wenn die Nottelefone nicht besetzt sind und die Frauenhäuser keinen Platz mehr haben», sagt Badran.

Der 10. Dezember ist der internationale Tag der Menschenrechte und hierzulande der Abschluss der Kampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Dass kurz davor dieser Entscheid fällt, sei besonders stossend. «Diese Unterstützung ist die Umsetzung der Istanbuler Konvention. Es ist das Menschenrecht auf Unversehrtheit. Genau das streicht man jetzt. Das ist doch pervers!»

Dann tritt Tamara Funiciello ans Mikrofon. Wütend rechnet sie vor, dass der Nationalrat mehrere Millionen für den Herdenschutz gesprochen hat, ebenso Millionenbeträge für die Förderung der Winzer, doch bei der Gewaltprävention werde eine mickrige Million zusammengestrichen. Und das, obwohl dieses Jahr bereits 27 Frauen durch einen Feminizid ums Leben kamen. «Schämt euch!», ruft sie, und die Menge tost.

Der Protest ist spontan entstanden und bleibt improvisiert. Nach mehreren Reden tritt eine der Organisator:innen ans Mikrofon und erklärt, dass der offizielle Teil zu Ende sei – ausser jemand wolle noch etwas sagen. «Ich bin so wütend!», schreit eine Demonstrationsteilnehmerin in die Menge. Jubel bricht aus. Danach treten rund ein Dutzend Personen spontan ans Mikrofon: Frauen, die von Gewalterfahrungen erzählen; fassungslose Nationalrätinnen mit Tränen in den Augen; ein junger Mann, der entsetzt ist über die geringe Präsenz von Männern.

Die laute Kundgebung endet leise. Andächtig werden die 27 Feminizide des Jahres einzeln verlesen. Menschen halten Kerzen und leuchtende Handys in die Höhe und schweigen betreten.

Der massive Widerstand zeigt Wirkung: Heute früh hat der Ständerat sich für die Million Franken ausgesprochen. Das Geschäft geht damit zurück an den Nationalrat.

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