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12. September 2025
E-ID: Expertin empfiehlt klares Jein
Quelle: techjournalismus.ch
Foto: Quelle: techjournalismus.ch

Am 28. September entscheidet die Stimmbevölkerung über das Gesetz zur elektronischen Identitätskarte (E-ID). Adrienne Fichter ist investigative Tech-Journalistin und hat bei der Republik Ende August einen ausführlichen Artikel zu der E-ID verfasst. Im Interview im RaBe-Info ordnet sie die Vor- und Nachteile der E-ID ein.

RaBe-Info: Was sind denn die Chancen der E-ID?

Adrienne Fichter: Altersprüfungen zum Beispiel. Das haben wir auch mit dem Jugendschutzgesetz in der Schweiz beschlossen, dass wir solche gesetzlichen Vorgaben sehr datensparsam umsetzen. Also, dass man mit der E-ID nur nachweisen muss, dass man über 18 Jahre alt ist, ohne das genaue Geburtsdatum anzugeben. Es gibt auch noch weitere Chancen, zum Beispiel, dass die Unternehmen wirklich nur das abfragen, was sie wirklich an staatlich bestätigter Information wissen müssen. Eine weitere Chance bei der E-ID ist, dass wir auch wissen, mit wem wir es zu tun haben. Also, dieses Unternehmen, das von mir E-ID-Daten abfragt, ist im Unternehmensregister des Bundes eingetragen. Und ja, wir können Behördengänge digital erledigen und uns in Europa digital gut bewegen, weil die EU wird da auch vorwärtsmachen.

RaBe-Info: Kommen wir zu den Gefahren der E-ID. Welche Nachteile gibt es denn?

Adrienne Fichter: In der Schweiz wird es so geregelt sein, dass diese E-ID-Infrastruktur eigentlich allen Organisationen, Unternehmen, Institutionen offen steht. Sie müssen sich eintragen lassen und dann können sie E-ID-Daten abfragen. Es sind etwa acht bis neun Datenfelder, darunter auch die AHV-Nummer, Geburtsort, Bürgerort, Geburtsdatum. Es ist technisch nicht eingeschränkt, was man abfragen kann, also theoretisch können diese Akteure alles abfragen, obwohl sie es nicht dürfen. Sie dürfen gesetzlich nur das abfragen, was zwingend erforderlich ist. Das steht im Gesetz so festgeschrieben. Wenn Unternehmen zu viel abfragen, kann ich das melden. Dann wird das Bundesamt für Justiz aktiv und macht einen Warnhinweis. Aber das Unternehmen selbst wird dann nicht wirklich bestraft. Es kann zwar ausgeschlossen werden, aber es findet eigentlich keine Prävention statt gegen diese Überidentifikation.

Der zweite Punkt ist, die E-ID wird freiwillig sein. Aber es besteht die Gefahr, dass es immer mehr zu Digital Only kommt oder Digital First. Also, dass man allgemein digitale Dienste nutzen muss und es da dann auch für Unternehmen, Institutionen oder Organisationen einfacher ist, so eine E ID zu verlangen, wenn Sie etwas wirklich wissen müssen von einer Person. Es bestehen berechtigte Zweifel von der Nein-Seite, dass es wirklich bei der Freiwilligkeit bleibt.

Und am Schluss ist es natürlich schon so, dass diese Infrastruktur, die hier gebaut wird, in der Schweiz, aber eben auch weltweit, dass es hier zu einem Function Creep kommt. Also dass hier etwas gebaut wird, was man in anderen Kontexten und Zusammenhängen auch missbrauchen kann. Es ist eine solide Lösung, die in der Schweiz keine staatliche Überwachung ermöglicht. Das Bundesamt für Justiz kann nicht mitverfolgen, wie ich die E-ID nutze. Dennoch haben wir auch Überwachungsgesetze in der Schweiz, die dazuführen könnten, dass dann Unternehmen wirklich auch gezwungen werden, E-ID Daten abzufragen, weil sie ihre Kunden identifizieren müssen.

RaBe-Info: Und dieses Identifizieren findet ja bereits jetzt statt. Beispielsweise LinkedIn fordert User dazu auf, einen Scan der ID zu senden, zwecks Verifizierung. Auch anderswo hinterlassen User ihre Datenspuren im Netz. Wäre eine staatliche Lösung nicht doch ein Schritt in eine geregeltere, also sicherere, digitale Zukunft?

Adrienne Fichter: Das wird sehr oft als Argument gesagt für die E-ID. Ja, der Überwachungskapitalismus ist sowieso im vollen Gange. Plattformen und Suchmaschinen und Apps und Software sammeln alle möglichen Daten. Deswegen würde die E-ID das alles viel, viel besser regeln. Aber diese Datensammlerei, die verschwindet ja natürlich nicht mit dieser E-ID. Zum Beispiel Marketing-Cookies: Daten, die gesammelt werden über Interessen. Das wird natürlich weiterhin gemacht. Der einzige Unterschied ist einfach, dass wir bei einer E-ID angezeigt bekommen, wann sich ein Unternehmen gut verhält. Also es wird dann grün angezeigt, wo dann steht Ja, das Unternehmen fragt wirklich nur diese Dinge ab, die es fragen muss. Und Orange ist dann schon ein bisschen schwieriger und Rot ist ganz schlecht. Das ist eigentlich der einzige Unterschied. Aber diese Warnsignaletik, dieser Online-Pranger, der ändert eigentlich nichts daran, wie sich die Unternehmen sonst verhalten im Internet. Davon ist auszugehen, dass die Tech-Plattformen weiterhin sehr starken kommerziellen Datenkapitalismus betreiben. Das Argument, dass die E-ID diesen Datenkapitalismus in irgendeiner Form eindämmt, das stimmt natürlich nicht.

RaBe-Info: Das bringt uns zu einem grundsätzlichen Problem. Es gibt immer wieder Politiker:innen im Bundeshaus, die von sich selbst sagen, dass sie keine ausreichenden Kenntnisse im Bereich der Technologie haben. Wie fahrlässig ist denn dieses Unwissen?

Adrienne Fichter: Ja, es ist extrem störend. Die Digitalisierung wird nicht verschwinden aus unserem Alltag, die Digitalisierung ist politisch. Man braucht dieses umfassendes Wissen darüber, wie KI-Modelle funktionieren, und wie ethische Digitalisierung funktionieren könnte. Das Problem bei unserem Bundesparlament ist es einerseits das Unwissen, gekoppelt mit sehr starkem Lobbying von Wirtschaftsverbänden. Die halt ganz stark dafür plädieren, dass Regulierung etwas Schlechtes sei, dass allgemein Gesetze zur Eindämmung von Risiken rund um die Digitalisierung schlecht sei. Und das ist eigentlich das Hauptproblem. Es besteht wenig Wissen darüber, über die Auswirkungen, über die Schattenseiten der Digitalisierung. Und es ist auch sehr stark von diesem wirtschaftlichen Interesse getrieben, dass eben die Userinnen und User Software-Tools nutzen und im Fall einer Cyberattacke relativ wenig Schutzrechte haben, wodurch sie sich wehren und für ihre Rechte kämpfen könnten. Das ist eigentlich auch ein Resultat unseres Bundesparlaments, weil sie auch nicht wollen, dass man in Sachen Digitalisierung die Unternehmen zur Rechenschaft ziehen kann.

Das Datenschutzgesetz, das wir haben, ist eigentlich gut, es ist solide. Aber die Sanktionen, die sind wiederum sehr, sehr milde. Und das sieht man eben auch beim E-ID-Gesetz, die Sanktionen sind minim, weil man wahrscheinlich auch die Bürokratie fürchtet. Und ich glaube, das ist das Problem, dass das Wissen stark von den Wirtschaftsverbänden kommt.

RaBe-Info: Es ist ja so, dass das Gesetz zur E-ID zunächst abgelehnt wurde, in der Folge wurde es überarbeitet. Das Parlament stimmte dem neuen Vorschlag zu, doch ein Komitee ergriff das Referendum. Und deshalb stimmt die Stimmbevölkerung erneut darüber ab. Ist denn der aktuelle Vorschlag denn noch immer nicht ausgereift?

Adrienne Fichter: Es gibt Leute aus der Fachwelt, die sagen hey, eigentlich wäre es gut, wenn wir eine E-ID haben, aber wir brauchen mehr Zeit für Forschung. Aber es gibt wiederum gute Gründe, ein Ja einzulegen. Weil eben die EU vorwärtsmacht und die Schweiz ist in der Mitte von Europa. Und wir haben dann eben auch gleich eine datensparsame Antwort auf die ganze Altersfrage. Ein Gesetz ist nie perfekt, aber eben, die Gefahr der Überidentifikation oder der Freiwilligkeit sind schon auch zentrale Schwächen. Also von daher kann man das weder mit Ja noch mit Nein beantworten.

Unter republik.ch findet ihr Adrienne Fichters vollständiger Artikel über das zur Abstimmung stehende Gesetz über die Einführung der E-ID.


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