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18. Dezember 2025
Israel führt einen Krieg gegen die Erinnerung
zvg
Foto: zvg Der Schriftsteller Atef Abu Saif war bis 2024 Kulturminister der palästinensischen Autonomiebehörde.

Zerbombte Bibliotheken, Museen in Schutt und Asche, zerstörte archäologische Ausgrabungsstätten: «Der Genozid in Gaza durch die israelische Regierung trägt die Dimension eines kulturellen Genozids.» Das berichtet einer, der es genau wissen muss: Atef Abu Saif war von 2019 bis 2024 Kulturminister der Palästinensischen Autonomiebehörde und ist Mitglied der Fatah. Denkmäler, Kulturhäuser und archäologische Stätten würden gezielt angegriffen, sagt er beim Gespräch am Morgen nach einer Lesung in Bern.

International bekannt ist Abu Saif aber als Schriftsteller. Seine Tagebuchnotizen aus Gaza wurden nach dem 7. Oktober in internationalen Medien wie der New York Times oder dem Guardian veröffentlicht.

«Israel will mit seiner Kriegstaktik die palästinensische kulturelle Identität ganz gezielt auslöschen.»
Atef Abu Saif Schriftsteller und ehemaliger Kulturminister

Dass der aktuelle Krieg ganz gezielt die kulturelle Identität Palästinas angreife sei bereits in den ersten Kriegstagen klar geworden: «Schon die ersten israelischen Gegenschläge am Abend des 7. Oktobers haben das Al-Qarara Museum in Khan Younis getroffen», erinnert sich Abu Saif. Danach seien viele weitere Angriffe erfolgt, etwa auf archäologische Orte wie den Hafen von Anthedon westlich von Gaza. Anthedon ist einer der ältesten Häfen im Mittelmeer.

Ein einzelner Angriff könnte noch als Kriegsfolge erklärt werden, als unbequemer Nebeneffekt. Doch dass wiederholt Museen, archäologische Stätten, Bibliotheken, Archive oder Theater angegriffen werden, zeige ein klares Muster. «Das geschieht nicht aus Versehen», meint Atef Abu Saif. «Israel will mit seiner Kriegstaktik die palästinensische kulturelle Identität ganz gezielt auslöschen.»

Alte Steine stellen eine Verbindung her

Zwölf Museen sind Abu Saif zufolge seit Kriegsbeginn durch israelische Streitkräfte zerstört worden, dazu 85 öffentliche Bibliotheken, darunter die Hauptbibliothek von Gaza, und auch das Archiv von Gaza-Stadt. Fast 50 Kulturinstitutionen wurden gemäss Abu Saif beschädigt oder völlig zerstört. Drei grosse Galerien in Gaza gingen verloren. Dort befanden sich viele palästinensische Gemälde. Insgesamt wurden 63 archäologische Stätten beschädigt, darunter auch das St. Hilarion-Kloster. Es wurde von der UNESCO als schützenswert eingestuft. «Das sind Verbrechen gegen internationale Kulturgüter», sagt Abu Saif.  

Nicht alle dieser Angaben lassen sich einzeln überprüfen – noch immer haben ausländische Journalist*innen keinen Zutritt zu Gaza. Doch Untersuchung von Organisationen wie PEN America bestätigen das Ausmass der Zerstörung. Und auch sie weisen darauf hin, dass es sich um mutwillige, gezielte Angriffe handelt.

Es sei nicht das erste Mal, dass palästinensisches Kulturgut ganz gezielt angegriffen werde, sagt Abu Saif Bereits während der Nakba – der Vertreibung von Palästinenser*innen 1948 – habe es solche Kulturellen Verbrechen gegeben.

«Ich schreibe, um die Menschen um mich herum für die Zukunft festzuhalten.»
Atef Abu Saif Schriftsteller und ehemaliger Kulturminister

«Es geht bei diesen Taktiken nicht nur darum, Menschen zu töten, es geht darum, die Erinnerung an diese Orte zu zerstören», erklärt der ehemalige Kulturminister. Wenn nicht die Menschen selbst getötet werden, dann alles, was sie mit Gaza als Ort verbindet. Die Kultur sei die Identität, die DNA eines Volkes. Werde diese zerstört, so fühle man sich fremd, verloren, so Atef Abu Saif. Man könne zwar in Zukunft wieder neue Gebäude errichten, neue Türme und Parks bauen. Man könne Theater neu bauen, aber kein Café wiedererrichten, das seit 200 Jahren existierte. «Man kann auch den vier tausend Jahre alten Hafen von Gaza nicht neu erschaffen.»

Eines der Hauptziele werde es sein, sagt Abu Saif mit Blick auf den Wiederaufbau, eine Verbindung zum Vorkriegs-Gaza herzustellen. Etwa in dem der Hammam mit einzelnen Steinen des alten Hammam wieder aufgebaut werde.

«Zudem braucht es einen Ort, um sich an all das Zerstörte zu erinnern», ist Abu Saif überzeugt. Beim Erinnern und Wiederaufbauen kommt allen ihre ganz spezifische Aufgabe zu. Und die Aufgabe Atef Abu Saifs ist das Schreiben. Mehrere Bücher hat er bereits verfasst. Zuletzt auf Deutsch erschienen: «Schau nicht nach links. Tagaebuch eines Genozids.» Schreiben sei für ihn ein Akt des Erinnerns, so Atef Abu Saif: «Ich schreibe, um die Menschen um mich herum für die Zukunft festzuhalten; auch inmitten des Genozids.»

Das sei die Hauptaufgabe der palästinensischen Literatur: In Palästina sei Schreiben nicht nur Schreiben. Schreiben sei Widerstand.

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