In einem Monat stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Zukunftsinitiative der JUSO ab. Diese fordert, dass Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuert werden. Ein Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, so die Initiant:innen. Die österreichische Millionenerbin Marlene Engelhorn kämpft seit Jahren für genau das: eine gerechte Besteuerung von Reichtum und Erbschaften. Anlässlich der Schweizer Premiere des Theaterstücks „Geld ist Klasse“ im Berner Schlachthaus sprach sie mit RaBe-Kulturredaktorin Sara Heinzmann über Überreichtum, Demokratie und die Frage, warum sie ihr Millionenvermögen abgibt.
RaBe: Marlene Engelhorn, du bist Millionenerbin, Autorin und Aktivistin. Heute Abend stehst du im Schlachthaustheater Bern auf der Bühne mit dem Stück „Geld ist Klasse“. Du könntest dir ein bequemes Leben machen, stattdessen gehst du auf Tournee mit einem Theaterstück und forderst du höhere Steuern für Reiche. Was treibt dich an?
Marlene Engelhorn: Man muss sich fragen: Auf wessen Kosten mache ich mir das schöne Leben? Ich habe für mein Vermögen nichts geleistet, ausser in die „richtige“ Familie geboren zu werden. Niemand kann sich aussuchen, in welche Familie man hineingeboren wird. Ich finde, das darf nicht darüber entscheiden, ob ein Leben gut ist oder nicht. Das ist keine Leistung, das ist Zufall. Das ist die Quintessenz von Ungerechtigkeit. Darum will ich mein Erbe dorthin zurückverteilen, wo es herkommt: in die Gesellschaft. Und ich setze meine Bekanntheit und mein politisches Kapital dafür ein, dass sich die Strukturen ändern und sich so etwas wie mein Reichtum nicht reproduziert.
RaBe: Du sprichst oft von Überreichtum, nicht einfach von Superreichen. Was unterscheidet diesen Begriff?
Engelhorn: Der Begriff ist hilfreich, weil er eine normative Grenze zieht. Wohlstand bedeutet, dass ich ein gutes Leben führen kann. Überreichtum beginnt dort, wo Geld zur politischen, wirtschaftlichen und medialen Macht wird. Also dann, wenn Reichtum Demokratie gefährdet. Wir wissen, was Armut ist und wo sie beginnt. Aber wir wissen kaum, wo Reichtum zu viel wird. Genau diese Grenze müssen wir demokratisch und wissenschaftlich definieren.
RaBe: Du sagst, Reichtum und Armut seien zwei Seiten derselben Medaille. Was meinst du damit?
Engelhorn: Es ist unmöglich, Überreichtum zu haben, ohne dass gleichzeitig Armut existiert. Ressourcen sind begrenzt. Wenn wenige über viel verfügen, bleibt für viele wenig übrig. In Österreich etwa gehören die meisten Wohnungen den reichsten zehn Prozent. Das bedeutet, 90 Prozent zahlen jeden Monat Miete an diese 10 Prozent. Geld fliesst immer in die gleiche Richtung, und zwar nach oben. Das ist strukturelle Ungleichheit.
RaBe: Du hast einen Bürger:innenrat gegründet, der entscheiden durfte, was mit deinem geerbten Vermögen passiert. Warum hast du das abgegeben, statt selbst zu entscheiden?
Engelhorn: Weil ich an Demokratie glaube. Ich wollte zeigen, dass Menschen gemeinsam vernünftig entscheiden können, wenn man ihnen die Mittel dazu gibt. Fünfzig zufällig ausgewählte Menschen aus Österreich haben entschieden, wohin das Geld fliesst, begleitet von Wissenschaft und Moderation. Dabei ging es nicht nur um Geld, sondern um Vertrauen: Demokratie heisst, Verantwortung zu teilen. Ich wollte kein „gönnerhafter Gutsherr“ sein, der Almosen verteilt. Ich wollte zeigen, dass gerechte Entscheidungen kollektiv möglich sind.
RaBe: Du sprichst von Prozessen statt von Ergebnissen. Warst du trotzdem zufrieden mit den Entscheidungen des Bürger:innenrats?
Engelhorn: Natürlich hätte ich manches vielleicht anders gemacht. Aber das ist gar nicht der Punkt. Entscheidend ist der Prozess: Transparenz, Diskussion, Gleichberechtigung. Wenn ich mir mein Lieblingsergebnis erkaufe, anerkenne ich, dass Macht käuflich ist. Ich will das Gegenteil beweisen: dass Demokratie der bessere Weg ist.
RaBe: Mit dem Theaterstück „Geld ist Klasse“ bringst du diese Themen auf die Bühne. Wie reagiert das Publikum?
Engelhorn: Sehr emotional. Viele sind aufgewühlt, manche weinen, weil sie sich endlich verstanden fühlen. Wir zeigen ja nicht nur, wie ungerecht alles ist, sondern auch, was möglich wäre. Einmal gründete nach einer Aufführung jemand spontan eine Diskussionsgruppe an der Theaterbar – das ist politisches Engagement! Genau das wünsche ich mir: dass Menschen merken, dass sie nicht ohnmächtig sind.
RaBe: Hast du auch Kontakt zu anderen Reichen, die deine Haltung teilen?
Engelhorn: Ja, zum Beispiel über die Initiative Tax Me Now, die sich für Vermögenssteuern einsetzt. Manche Reiche verstehen, dass Teilen demokratisch notwendig ist. Das freut mich, aber klar ist: Die Überreichen werden die Welt nicht retten. Das müssen viele gemeinsam tun.
RaBe: In der Schweiz wird bald über die JUSO-Zukunftsinitiative abgestimmt, die Erbschaften über 50 Millionen Franken zur Hälfte besteuern will. Warum, glaubst du, hat eine solche Initiative politisch so einen schweren Stand?
Engelhorn: Ich halte die die direkte Demokratie in der Schweiz, so wie sie jetzt funktioniert, für korrupt. Wer die teuersten Kampagnen finanzieren kann, beeinflusst das Ergebnis. Die Lobby der Überreichen investiert riesige Summen, um Angst zu schüren – Angst, selbst etwas zu verlieren. Das lähmt die Debatte.
Ich finde die Initiative der Juso sehr moderat; ein konservativer Vorschlag sogar. Aber sie geht in die richtige Richtung: hin zu einer gerechteren Verteilung.
RaBe: Vielen Dank für das Gespräch, Marlene Engelhorn.