Eva-Maria Knüsel: Ich war diesen Sommer am Rosenlauigletscher wandern und war erstaunt, dass am Fuss des Gletschers ein Wasserfall entstanden ist. Mir wurde erzählt, dass es das erste Mal seit 100 Jahren sei, dass so direkt aus dem Gletscher ein Wasserfall entspringt. Diese Erfahrung hat bei mir eine Welle von Klimakummer ausgelöst.
Eva-Maria Knüsel: Bridle verwendet dieses Bild in Bezug auf den schmelzenden Permafrost: Dieser speichert geologische Informationen aus der Erdgeschichte, die wiederum Zukunftsdiagnosen ermöglichen – gerade in Bezug aufs Klima. Wenn sich dieser Permafrost auflöst, entsteht eine Art Schlamm, der keine Rückschlüsse auf die Erdgeschichte zulässt.
Im übertragenen Sinn kommt dieser Schlamm zum Beispiel in Madeleine Marmys Arbeit vor. Sie arbeitet mit Kupfersulfat, Salzen und Wasser. Sie stellt eine Lösung her, mit der sie Textilien einfärbt und anschliessend an der Sonne trocknen lässt. Dadurch entstehen unplanbare Farbspektren, die einerseits an Organisches erinnern, aber auch etwas Toxisches in sich tragen. So wird der Schlamm zu einem Teil des künstlerischen Prozesses und zu einem bildgebenden Verfahren, das an malerische oder auch fotografische Praktiken erinnert.
Eva-Maria Knüsel: Ich verfolge die Praxis dieser beiden Kunstschaffenden schon länger. Sie setzen sich zwar mit sehr unterschiedlichen Medien und Materialien auseinander, beschäftigen sich aber mit ähnlichen Themen. Sie erzählen Geschichten vom Zusammenleben menschlicher und nichtmenschlicher Lebewesen, aber auch von unserer Beziehung zu Materialien, zu Materie. In ihren Arbeiten taucht immer wieder das Symbiotische auf. Symbiose verstehen die beiden als eine Form des Zusammenlebens, die nicht durch Kontrolle und Regulierung der Biosphäre bestimmt ist, sondern durch Austausch und Koexistenz.
Eva-Maria Knüsel: Egle Budvytyte erkundet in ihren Videoarbeiten verschiedene Formen der Bewegung, die von nichtmenschlichen Wesen beeinflusst sind: von Tieren, aber auch von Bakterien oder von Pilzen in Zeitrafferaufnahmen. Ein zentraler Handlungsort ist der Wald. Dort gibt es verschiedene Stadien der Symbiose – gegenseitige Abhängigkeit, Hingabe, Zerfall, Tod. Wenn im Wald etwas stirbt, dann verwest es, wird wieder aufgenommen von Pilzen, Bakterien oder kleinen Lebewesen und im wahrsten Sinne des Wortes kompostiert.
Eva-Maria Knüsel: Das Werk besteht aus Glasgüssen. Diese erinnern an Bohrkerne, Eiskristalle oder industrielle Artefakte. Matheline Marmy interessiert sich für die unterschiedlichen Zeitkonzepte, die unser Denken und auch die Erdgeschichte geprägt haben. Einerseits das Lineare, also eine gerichtete Zeit. Andererseits das Zyklische, in dem die Erde in ständiger Transformation ist, es wiederkehrende Ereignisse oder Muster gibt und Zeit eher etwas Kreisförmiges ist.
Eva-Maria Knüsel: Kunst kann Gedanken anregen und Dinge sichtbar machen. Sie hilft, über Sachverhalte nachzudenken und das Publikum zu sensibilisieren. Wir als Ausstellungs- und Produktionsort sind Teil der Kultur Stadt Bern und dadurch auch der städtischen Kulturbotschaft verpflichtet. Bei uns zeigt sich das in kleinen Dingen: Wir machen zur Eröffnung ein veganes oder vegetarisches Buffet, ermutigen die Kunstschaffenden, mit dem Zug statt mit dem Flugzeug anzureisen. Wir produzieren vieles im Haus aus recycelten Materialien, die wir vielleicht schon für andere Ausstellungsdisplays verwendet haben. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, damit wir Ressourcen teilen können.
Die Ausstellung ist vom 29. August bis zum 11. Oktober in der Stadtgalerie zu sehen. Sie wird umrandet von Workshops, Lesungen und Gesprächen. Am 11. September lädt die Stadtgalerie zu einem Rundgang mit Übersetzung in Gebärdensprache.